Erweiterte Realität

In unserem ersten Artikel haben wir das ERP-System als „Dirigenten“ des intelligenten Lagers etabliert. Nun werfen wir einen Blick auf das erste Instrument im Orchester: Augmented Reality (AR) .

In jedem Lager (Automobil-, Industrie- oder Architektur- und Designlager) liegen die höchsten Kosten und die größte Fehlerquelle oft auf den „letzten 10 Metern“ – der manuellen Kommissionierung.

In einer Arbeitsumgebung, in der Geschwindigkeit und Präzision entscheidend sind, sind die Mitarbeiter lange Zeit mit gesenktem Blick beschäftigt und schauen ständig von ihrer Arbeit weg, um eine Papierliste oder einen Handscanner zu überprüfen. Dieses ständige Hin- und Herwechseln zwischen verschiedenen Aufgaben ist ineffizient und die Hauptursache für Fehler (falscher Artikel, falsche Menge, falsches Fach).

AR Vision Picking

Augmented Reality (AR) löst dieses Problem, indem sie die Daten direkt in das Sichtfeld des Bedieners projiziert. Es handelt sich um eine grundlegende Prozessänderung, die eine freihändige und auf den Betrachter gerichtete Bedienung ermöglicht.

Es ist wichtig zu verstehen, warum diese Technologie jetzt zum Standard wird. Frühe industrielle Datenbrillen wie die erste Google Glass oder die Vuzix M-Serie waren zwar Pioniere, aber oft klobig. Sie verfügten über einseitige Displays, eine begrenzte Akkulaufzeit und ein enges Sichtfeld. Die 2024 und 2025 vorgestellte Hardware, wie die Vuzix Z1 oder die XReal Air- Serie, stellt einen enormen Fortschritt dar. Der neue Standard lautet:

  • Leichtgewicht: Oft nicht von herkömmlichen Schutzbrillen zu unterscheiden, für ganztägigen Tragekomfort konzipiert.
  • Binokular: Vollfarbdisplays für beide Augen, die ein echtes erweitertes Sichtfeld erzeugen.
  • Größeres Sichtfeld: Ermöglicht die Anzeige von mehr Informationen, ohne die Sicht des Bedieners zu behindern.
  • Integrierte KI: Bessere Verarbeitung für schnellere Objekt- und Texterkennung.

Diese Entwicklung hin zu einem komfortablen, leistungsstarken Wearable ist der Katalysator dafür, dass „Vision Picking“ heute eine skalierbare Realität wird.

Wie AR den Kommissionierprozess in LN verändert

Simulieren wir einen realen Fall.
In einem herkömmlichen Lager nutzt ein Mitarbeiter einen RF-Scanner, um die Kommissionierliste einzusehen.
Er ist mit gesenktem Blick auf den kleinen Bildschirm konzentriert, geht zum Gang, scannt den Behälter, überprüft erneut die Menge auf dem Bildschirm, kommissioniert den Artikel und bestätigt die Kommissionierung. Nun wenden wir Augmented Reality (AR) an, gesteuert von Infor LN:

  1. LN generiert die Kommissionierliste auf Basis einer Bestellung.
    Dieser Prozess bleibt unverändert; das ERP-System bleibt der „Dirigent“.
  2. ION sendet den ersten Kommissionierbefehl (z. B. „Kommissionieren Sie 4 Einheiten des Artikels X aus Gang 05, Fach 02“) an die AR-Software.
  3. AR-geführte Ausführung:
    • Navigation mit Blick nach oben: Der Bediener sieht in seinem Sichtfeld „Gang 05, Fach 02“ und wird von einem digitalen Pfeil geleitet. Er kann freihändig gehen, ohne nach unten zu schauen.
    • Visuelle Bestätigung: Nach Ankunft prüft der Bediener den Barcode des Behälters. Die Kamera der Datenbrille scannt ihn sofort, und der Bediener sieht ein grünes Häkchen.
      Dies bestätigt den Standort.
    • Artikelprüfung: Auf dem Display wird „4 auswählen“ und ein Bild des Artikels (aus den Artikelstammdaten von Infor LN) angezeigt.
      Diese visuelle Prüfung verhindert die Auswahl des falschen Artikels.
    • Freihändige Bedienung: Der Bediener nimmt die 4 Gegenstände mit beiden Händen auf und bleibt dabei konzentriert.
  4. Echtzeitbestätigung: Der Bediener bestätigt die Kommissionierung per Ringscanner oder Sprachbefehl.
    Diese Aktion wird in Echtzeit an Infor LN zurückgesendet und schließt so den Vorgang für die jeweilige Kommissionierlinie ab .

Der Bediener erhält bereits die nächste Anweisung („Gang 07, Fach 04“), bevor er sich umgedreht hat. Dies vermeidet Kontextwechsel, minimiert menschliche Fehler und optimiert die Bewegungsabläufe. Diese Technologie bietet einen messbaren ROI in der Logistik.

Fallbeispiel 1: Das klassische Lager (DHL-Lieferkette)

DHL ist hier der Vorreiter.

Ihr erstes Pilotprojekt in den Niederlanden (Bergen op Zoom), das sie für ihren Kunden Ricoh durchführten, bestätigte das Konzept. Sie implementierten „Vision Picking“ mithilfe der Datenbrille Vuzix M100 und der Software Ubimax. Ihre Mitarbeiter erhielten die Auftragsinformationen direkt in ihrem Sichtfeld und wurden so zum richtigen Lagerort geleitet, ohne die Hände zu verlieren.

    • Ergebnis: Das Pilotprojekt war ein voller Erfolg. Wie aus der Pressemitteilung hervorgeht, konnte DHL die des Kommissionierungsprozesses 25 % steigern

Sie hoben außerdem die hohe Genauigkeit und das positive Feedback der Mitarbeiter hervor, die das System als benutzerfreundlich empfanden. Die Lösung war so erfolgreich, dass sie weltweit eingeführt wurde.

Fallbeispiel 2: Ein moderner Fall (Amazon „Last Mile“)

Dieser Amazon-Fall ist faszinierend und hochmodern, da er AR vom Lager in den Lieferwagen verlagert. Das Prinzip ist identisch, nur dass der Fahrer der „Operator“ ist. Amazon hat diese neue AR-Funktion intern , um die Zustellung auf der letzten Meile zu optimieren.

Anwendungsfall: Fahrer nutzen Datenbrillen (spezielle Hardware), die mit Daten zu ihrer Route und Ladung gespeist werden. Bei Ankunft an einem Stopp liefert das AR-Display Navigationshinweise und Lieferdetails. Entscheidend ist jedoch, dass es ihnen hilft, das jeweilige Paket im Lieferwagen zu finden – ein Vorgang, der viel Zeit kostet. Die Fahrer sehen Paketinformationen (wie die Adresse) als Overlay und können so das richtige Paket schneller identifizieren.

Ob im Regal oder im Lieferwagen – Augmented Reality verleiht dem Bediener die „Superkraft“ von Echtzeitdaten, ohne dass er den Blick abwenden muss. Es ist die perfekte Verbindung von menschlicher Flexibilität und digitaler Präzision, alles gesteuert vom ERP-System.

Als Nächstes Thema: Was passiert, wenn wir die Reisezeit für Menschen vollständig eliminieren? Wir werden die „Ware-zur-Person“-Revolution diskutieren: Autonome mobile Roboter (AMR) .

Verfasst von Andrea Guaccio

10. November 2025